Team Sebastian Stoldt
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21.09.2002

Warum wollen Männer immer schöner werden?


Früher hatten Männer Erfolg, und Frauen mussten schön sein. Heute haben die Frauen Erfolg, und Männer wollen aussehen wie Models - schlank wie George Clooney und knackig wie Til Schweiger. Eine blühende Body-Branche bedient den neuen Adonis-Komplex


Gary Cooper hat nie eine Fitness-Oase betreten. Humphrey Bogart geriet ins Keuchen, wenn er mehr als zwanzig Meter laufen musste. John Wayne brachte es auf dreizehn Liegestütze, dann blieb er liegen. Kirk Douglas, seufzt Sohn Michael neidisch, 'konnte noch mit Bauch und Fettrand selbstbewusst den Spartacus spielen'.

Das ist heute nicht mehr drin. Tom Cruise, Brad Pitt, George Clooney hanteln täglich im heimischen Studio, Mel Gibson und Bruce Willis beschäftigen persönliche Trainer, und Arnold Schwarzenegger beklagt neuerdings Figurprobleme. 'Ohne Design-Körper wird heute keiner mehr zum männlichen Helden', stellt Regisseur James Cameron fest.

Das gilt nicht nur für Hollywood. Jon Bon Jovi, Sting, Bruce Springsteen absolvieren zumindest vor Medienauftritten harte Workout-Programme, denn - so Springsteen - 'du musst im T-Shirt gut aussehen'. Die meisten Rapper sind schon Anabolika-verdächtig. 'Bau deinen Körper so geil wie deine Songs', lehrt Eminem. Deutsche Kollegen wie Peter Anders und Dieter Bohlen versuchen es. Götz George stemmt Gewichte und bremst seine Kalorienlust. Und das Hintern-Lifting von Jürgen Drews gilt unter Experten als den Umständen entsprechend geglückt.

Showbiz-Macken? Keineswegs. Eine Generation von Erfolgssüchtigen jagt den Vorgaben so genannter Fitness-Päpste nach. Männer beäugen ihren Körper neuerdings so argwöhnisch, wie es jahrhundertelang nur Frauen taten. Sie drehen sich mit kritischem Blick vor dem Spiegel, legen sorgenvoll das Maßband an, quälen sich mit Diäten, besteigen die Profi-Waage zwecks Körperfettanalyse, zählen Kalorien bis zur Ess-Störung, werfen Aufbaupräparate ein und erkundigen sich nach den Kosten für kosmetische Korrekturen.

'Adonis-Komplex' nennen Forscher das Phänomen. Adonis war jener Schönling in der griechischen Sage, der alles tat, um die Gunst der machtvollen Aphrodite zu gewinnen. Diese mythische Paarung findet jetzt in der Wirklichkeit statt. Der Mann müht sich ab, so schön wie Adonis zu werden, weil die Frau übermächtigen Status erlangt hat. 'Sie ist stark und selbstbewusst geworden', sagt Harrison Pope, Professor an der Harvard Medical School. 'Sie übertrifft ihn auf so vielen Gebieten, dass er auf das Einzige zurückgeworfen ist, das sie ihm nicht nehmen kann: seinen Körper.'

Der perfekt gestylte Körper, am besten mit Waschbrettbauch, wäre demnach die letzte männliche Antwort auf den weiblichen Erfolg. Weil Aphrodite in den Karrierehimmel steigt, schwitzt Adonis sich Pfunde ab. Immer mehr männliche Edelkörper räkeln sich auf Titelblättern und tauchen in Werbespots sexy ins kalte Wasser - für weibliche Betrachter angenehm, für männliche peinigend. Es ist die genaue Umkehrung traditioneller Verhältnisse.

Heute opfern Männer mehr Geld und Zeit für ihr Körperbild als je zuvor - inzwischen sogar mehr als Frauen. 43 Prozent der männlichen Studenten sind mit ihrem Körper unzufrieden, viermal so viel wie vor zehn Jahren - obwohl sie besser in Form sind als die Studenten der späten 80er. An solch wachsendem Mängelbewusstsein erfreut sich eine aufblühende Industrie. Sportgeräte und Rasierwasser, Haarwuchsmittel und Energy Snacks, Fitness-Programme, Power-Diäten, Functional Food. All das gäbe es nicht, würden die Männer nicht süchtig danach verlangen.

Und der Stellenmarkt gibt ihnen Recht. In der Konkurrenz um die rarer werdenden Aufstiegsplätze gewinnt das Aussehen immer mehr an Bedeutung. 'Im Zweifelsfall bekommt der besser aussehende Bewerber den Posten', erzählt der Hamburger Personalberater Dr. Gert Schmitz. 'Schlanke Männer verdienen mehr als dicke, fitte mehr als Couch Potatoes.'

Da ist es nicht abwegig, ein wenig in Äußerlichkeiten zu investieren. Schon entwickeln Männer ein sensibles Schamgefühl wegen falscher Muskel-Fett-Proportionen. Heute nur zwanzig Sit-Ups gebracht? Nur die kleine statt die große Jogging-Runde gelaufen? Da pocht das schlechte Gewissen. Sünde ist nicht mehr der Seitensprung, sondern die heimliche Kugel Mokka-Eis.

Barbara Mangweth, Dozentin für Psychosomatik an der Uni Innsbruck, hat bei jungen Männern schon Ess-Störungen wie Bulimie ausgemacht, mit denen sich bislang nur Mädchen und junge Frauen quälten.

Sportmediziner orten unterdessen einen florierenden Konsum von Präparaten zum Körpertuning. Figurbesorgte Männer werfen scharfe Wunderpillen ein. Übers Internet trudeln Anabolika ins Haus (100 Tabletten Dianabol für 50 Euro), die jeden Radrennfahrer disqualifizieren würden. 22 Prozent der männlichen Besucher von Fitness-Studios haben dem Muskelaufbau schon mit illegalen Medikamenten nachgeholfen.

Aber: 'Die Idealkörper, die uns die Werbung präsentiert, sind weit entfernt von allem, was ein normaler Mann ohne Medikamente erreichen kann', stellt der Sportmediziner Dr. Carsten Boos von der Uni Lübeck klar. 'Selbst unter gut trainierten Männern weisen nur die wenigsten jene Muskel-Fett-Proportionen auf, die wir auf Werbebildern sehen.' Und Barbara Mangweth beruhigt: 'Frauen sind, zumindest, was männliche Körper betrifft, viel realitätsnäher, als Männer meinen.'

Doch wenn ein plakatives Körper-Image erst mal in der Welt ist und überall der Waschbrettbauch propagiert wird, erliegen Männer dem Druck und überprüfen den eigenen Bauch vor dem Badezimmerspiegel. Der Vergleich mit dem Ideal fällt in der Regel ungünstig aus. Und davon profitiert neben der Wundermittel-Industrie nun auch eine Berufsgruppe, die bislang fast ausschließlich für Frauen das Messer wetzte: die Zunft der Schönheitschirurgen.

Was Hollywoods Wunderdoktoren anbieten - Wangen wie Johnny Depp, Lippen wie Brad Pitt, Rob Lowes Nase, George Clooneys Kinn, Augenschnitt von Tom Cruise -, kommt für den Verband der Deutschen Plastischen Chirurgen aber nicht in Frage. Hier ist man auf Harmonisierung aus, auf ein schonendes Upgrade der Persönlichkeit und sanftes 'Body Contouring'. Also auf die Behandlung jener Problemzonen, die lange nur Frauen bewusst waren: Pölsterchen auf Hüften und Bauch, denen auch durch emsiges Training nur schwer beizukommen ist.

Geschätzte vierzigtausend Männer haben im vergangenen Jahr bei einem Schönheitsarzt geklingelt. Damit stellen sie schon mehr als ein Drittel der Klienten, und wenn es so weitergeht, werden sie die Frauen in zwei Jahren eingeholt, wenn nicht gar überrundet haben.

Weitaus die meisten Eingriffe sind dezent und harmlos. Bei Männern zwischen zwanzig und dreißig geht es um abstehende Ohren und schiefe Nasen. In mittleren Jahren wird Fett abgesaugt, bevorzugt im Bauchbereich, auch mal an Brust und Po. Ab Mitte vierzig führen Lidstraffung und Faltenglättung die Liste an.

'Die Männer möchten nicht alt und müde wirken', frohlockt Michael Herzog, Berliner Facharzt für ästhetische Chirurgie. 'Sie kommen, wenn sie sich um eine neue Stelle bewerben. Oder sie lassen sich nach einer Scheidung liften, um Chancen bei jüngeren Frauen zu haben.'

Ehrenrührig ist der Gang zum Messerkünstler nicht mehr. Die gesellschaftliche Akzeptanz von plastischen Operationen ist mit dem allgemeinen Körperbewusstsein gewachsen. Zweitausend Euro für die begradigte Nase oder fürs Fettabsaugen erscheinen nicht einmal mehr teuer. Der Berliner Schönheitschirurg Jürgen Ervens redet Patienten mit origineller Nasen- oder Ohrenform auch schon mal eine OP aus. 'Es geht doch um die Persönlichkeit! Denken Sie an Dominique Horwitz. Der würde sich nie die Ohren anlegen lassen.'

Also: Einen Adonis-Komplex braucht sich kein Mann einreden zu lassen. Zumal sich das Streben nach Makellosigkeit mit den Jahren von selbst legt. Sebastian Stoldt, Hamburger Promi-Masseur, beobachtet bei seinen männlichen Klienten zwar den Trend zur guten Figur. 'Aber richtige Sorgen machen sich nur die ganz jungen Männer. Je mehr Erfolgserlebnisse ein Mann einfährt, desto weniger schert er sich um körperliche Idealmaße. Dann hat er keinen Adonis-Komplex mehr, sondern fühlt sich wie Adonis. Und eins ist doch wahr: Männer waren noch nie so schön wie heute.'

siehe auch http://www.abendblatt.de/daten/2002/09/21/71674.html


Quelle: Hamburger Abendblatt; Autor: Dietmar Bittrich